Denkübungen

Heute ließ ich eine Hummel frei. Sie muss die ganze Nacht und den ganzen Tag stumm in ihrem Gefängnis zugebracht haben, das mein Zimmer für sie gewesen sein muss. Eine ganze Weile schon saß ich lesend in meinem Sessel, als sie zu summen begann. Offenbar hatte sie die Zeit über zwischen dem schmalen Fenster und dem kleinen Regal davor verharrt. Ihr Summen war nicht panisch wie das eines Insekts in Todesangst. Aber es war deutlich, dass etwas in ihr erwacht war, das sie zu, Handeln trieb. Wohin diese Hummel auch hätte fliegen wollen, in meiner Wohnung gab es nichts für

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Das tut mir aber leid/Wir entschuldigen uns/Kommt nicht wieder vor – Was aussieht wie ein sich verbreitender Hang zur Höflichkeit und Demut ist vielmehr Indikator für die Unsitte, sich zunächst zu viel erlaubt zu haben. Die Entschuldigung für Vergehen ist dabei kein Zeichen von Demut, sondern eine Reaktion auf den öffentlichen Druck, den man sich durch diese Geste offensiv zu nehmen versucht. Ein Ziehen aus einer Affäre, bei der man erwischt worden ist. Das entwertet den wahren Wert einer Entschuldigung und damit eine sittliche Veranlagung, die selbstverständlich sein sollte. Auf den Stand eines bloßen Tricks degradiert, vergeht niciht nur das

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Gleich nebenan ist sie: Die bessere Welt. In der Milch und Honig fließen, in der alles besser ist, in der das glückliche Leben auf uns wartet – Physiker halten Paralleldimensionen für möglich, auch wenn hier der wissenschaftliche Beweis fehlt. Wenn er denn je kommt. Oder sich das Ganze nur als Hirngespinst herausstellt. Paralleldimensionen, unendliche von ihnen heißt: Unsere Realität immer leicht abgewandelt. Man könnte hineintreten und auswählen, welche einem lieber ist. Eine Realität, in der es 9/11 nicht gab und damit den darauf eingeschlagenen Lauf der Weltgeschichte nicht. Eine Realität, in der wir einen beruflichen Weg nicht verlassen, sondern weiterverfolgt

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Ich hatte einen Traum. Er war nicht schön. Ich verlor darin das Augenlicht, ich sah mich selbst mit geschlossenen Augen, dabei sind blinde Augen geöffnet. Ich sah nichts, orientierte mich nicht. Meine Hände waren nach vorn ausgestreckt. Wie ein Zombie tastete ich mich vor, langsam, unsicher, allem beraubt. Es war so grässlich, als sei mein Leben mit dem Ende des Augenlichts zu Ende. Oder, wieder bildhaft, als erlösche mein Leben mit dem Erlöschen des Augenlichts. Wie ist das ohne Augenlicht? Die Welt, sie ist noch da, in all ihren Formen und Farben, aber sie verbirgt sich hinter Blindheit. Und man

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In Not und höchstem Übel kommt die Frage plötzlich: Wer bin ich? Was bin ich? Wenn die Frage kommt, weiß ich, dass ich vom Weg abgekommen bin. Dann wacht man auf und fragt sich, wie es nur geschehen konnte, dieses Abkommen vom Weg. Als sei erst das Abkommen und Verlieren der Akt der Erkenntnis seiner selbst und seiner Wünsche. Und man fragt sich, ob man in letzter Zeit außer Besinnung und Kontrolle war und dann, wie und warum das hat geschehen können. Immerhin: Kommt die Frage nach dem, wer und was man sei, ist damit ein Aufwachen verbunden, ein Erkennen

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Als ich neulich in die Wolken blickte, geschah es: Ich hielt sie an. Nicht alle, sondern eine. Ich brachte sie dazu, einfach stehenzubleiben. Wie weit sie von mir entfernt war, kann ich nicht sagen, es war ein großartiger Sommertag, und weiße Wolken schoben sich wie Gebirge über mich hinweg. Auf eine fixierte ich mich – oder ich hatte vielmehr das Gefühl, dass sie sich mich aussuchte, um von mir fixiert zu werden, soll heißen, im Prinzip fixierte sie mich – und brachte sie, während ich sie anblickte, zum Stillstand, während alles andere und auch alle Wolken um sie her weiterzogen.

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