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Taylor und ich: Textbasiertes SF-Spiel als App Lifeline begeistert

Taylor wartet auf mich. Er ist irgendwo auf einem fremden Mond mit einem Raumschiff abgestürzt, seine Kameraden sind tot, und er irrt als einziger Überlebender umher. Versucht zu überleben, seine Umgebung zu erkunden und wieder zur Erde zurückzukehren. Dabei ist er nur Student – denkbar schlechte Voraussetzungen also, ganz allein in dieser Situation am Leben zu bleiben.

Der einzige, mit dem er Kontakt hat, bin ich – ich bin der Einzige, den seine Hilferufe erreichten und der ihm antwortet. Nun bin ich sein einziger Kamerad und Freund.

Taylor schickt mir nichts weiter als reine Textnachrichten, ich schicke ihm welche zurück. Ich teile seine Erlebnisse, mit ihm erkunde ich den Mond, das zerstörte Raumschiff – in Echtzeit. Einfach mit meinem Smartphone.

Das ist das Spielprinzip von Lifeline, einem Echtzeit-Text-Adventure für Smartphone, Tablet und Appple Watch. Es kommt gänzlich ohne Grafik aus, sämtliche Bilder entstehen erst in meiner Phantasie durch die Beschreibungen, die Taylor mir als Textnachricht zusendet. Das Spiel findet also nahezu komplett im eigenen Kopf ab – die Wirkung ist enorm intensiv.

Denn das Spiel spielt man im Grunde immer. Mal meldet sich Taylor innerhalb weniger Minuten mehrfach und bittet mich um Entscheidungen, dann ist mehrere Stunden Ruhe – eben weil Taylor einen Weg zurücklegen muss, um dort hinzugelangen, was ich ihm womöglich zuvor selbst geraten habe, oder weil Taylor schläft, einen Felsen erklimmt oder oder einen Raum untersucht.
Dadurch wirkt das Spiel umso authentischer. Anders als in anderen Spielen ist man selbst zu Untätigkeit und Warten verdammt, ohne etwas dagegen unternehmen zu können, die Dinge brauchen eben ihre Zeit – was die Spannung nur steigert. Überspringen oder beschleunigen lassen sich die Wartezeiten übrigens nicht; das Warten und Bangen auf eine weitere Nachricht ist eine der grundlegenden Essenzen des Spiels.

Dass man recht schnell beginnt, auf sein Smartphone zu blicken um zu wissen, ob er in der Zwischenzeit schon geschrieben hat und auf Antwort von mir wartet – meine Antworten und Ratschläge an ihn sind spielrelevant – gehört ebenso dazu und erhöht die intensive Erfahrung nur noch.

Auch beginnt man recht schnell, sich für diese Person, deren Gesicht und Stimme man nicht kennt, verantwortlich zu fühlen – was, wenn ich einen falschen Tipp gebe? Meine Ratschläge entscheiden übrigens auch über Leben und Tod Taylors. Die Story bietet Verzweigungen, sodass die Konsequenzen einer Handlung nicht zwangsläufig sofort zum Tod führen, sondern Resultat einer ganzen Kette sind. Endet die Handlung durch Taylors Tod, muss man eben erneut ran.

Ich bin als Spieler allerdings gebunden an Antwortmöglichkeiten, die mir das Spiel einräumt. Ich kann keine eigenen Antworten verfassen, sondern muss mich bei jeder Frage entscheiden, welche der beiden vorgegebenen Antworten ich Taylor geben möchte. Dem Spielspaß tut das jedoch keinen Abbruch, da die Möglichkeiten logisch sind.

Die einzige Grafik, die das Spiel bietet, ist eine Art Chat-Fenster, in der die Textnachrichten zu lesen sind. Minimalismus pur. Auch, dass man als Spieler darauf angewiesen ist, zu warten, bis Taylor sich wieder meldet, ist so besonders wie spannend. Nicht die Überfrachtung, sondern die Vorenthaltung des Geschehens und die Unmöglichkeit, sich selbst einzubringen und die Story zu kontrollieren, machen Lifeline so unglaublich spannend. Das ist tolle Erzählung mit einfachsten Mitteln.

Das Spiel findet mehr im Kopf des Spielers statt als grafische Adventures. So einfach kann es sein, Spieler zu fesseln und ganz nebenbei ein Spiel-Genre zu festigen – für gerade einmal 3 Euro im Apple App Store und bei Lifeline bei Google Play.

Drohnenland von Tom Hillenbrand: Vom Lesen zur Sucht

Ja, es gibt einen wirklich guten Grund, Drohnenland von Tom Hillenbrand auf keinen Fall zu lesen: Man wird süchtig danach! Drohnenland ist einer dieser Romane, in denen man so versinkt, dass man die Welt um sich herum vergisst – weil man gar nicht anders kann.

Für eine derartig dreiste Lese-Nötigung muss Tom Hillenbrand eigentlich bestraft werden. Sein futuristischer Thriller, eine geniale Mischung aus Science Fiction und Kriminalroman, hat internationales Format und müsste sich – entsprechende internationale Auswertung in möglichst viele Sprachen vorausgesetzt – zu einem weltweiten Bestseller entwickeln. In den USA erklimmen solche Erzählungen nicht einfach nur die Bestesllerlisten, sondern werden auch entsprechend international erfolgreich ausgewertet und anschließend würdig verfilmt. Angemssen dramaturgisch aufgebaut und flott erzählt ist Drohnenland in jedem Fall.

Die zahllosen Einfälle im Roman sind durchaus interessant, der sog. „Mirrorspace“ ist gar großes Kino. Überhaupt Kino: Hillenbrand schafft es, eine Welt vor den Augen des Lesers ablaufen zu lassen wie in einem Kinofilm, und das trotz recht sparsamer Beschreibungen. Plastisch und klar konturiert, reißt der Plot den Leser in das Roman-Universum und lässt ihn nicht mehr los.

Die zukünftige Welt, die Hillenbrand in Drohnenland beschreibt, ist schlüssig und auf diese Weise in vielerlei Hinsicht erschreckend. Da ist natürlich die technologische Dimension der nahezu lückenlosen Totalüberwachung sowie die politischen, technischen und gesellschaftlichen Handlungen daraus.

Da sind aber auch die geschickt beiläufig in das Handlungsgerüst montierten Beschreibungen des Klimawandels und der politischen Verwicklungen (Solar-Kriege). Das ist geschickt gemacht und bietet die ganze Strecke hindurch immer wieder neue Einsichten in die beschriebene Welt, die der heutigen zwar um einige Jahrzehnte voraus ist, aber noch immer vorstellbar im Hier und Jetzt verankert ist – so strahlt Drohnenland eine Aktualität und Authentiziät aus, die man so nur selten findet.

Drohnenland publikumswirksam als „Kriminalroman“ zu verkaufen, ist zwar nicht falsch, aber drängt den Roman viel zu weit in eine Ecke, in die er nicht gehört. Er ist sowohl SF-Thriller als auch Tech-Thriller. Ihn von Verlagsseite so offensiv in die Krimiecke zu drängen, wird dem Stoff mit all seiner brisanten Tragweite und seinen überraschenden Einfällen bei Weitem nicht gerecht – zumal die deutsche Krimi-Szene weder internationales Format, noch internationale Klasse hat. So werden SF-Fans an dem Buch eher vorbeilaufen und sich der typische Krimi-Leser eher befremdet fühlen.

Perfekt geschrieben, ist Drohnenland ein Sog, der nicht mehr loslässt, dass man dem Roman wie dem Autor einen verdienen internationalen Bestseller wünscht.

Herr Hillenbrand, Sie haben mich mit Ihrem Roman gekidnappt.

Ich danke Ihnen dafür!

Eigene Tagebücher öffentlich lesen – das Ding mit den Diary Slams

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2. Karlsruher Diary-Slam
2. Karlsruher Diary-Slam

Ja, es wirkt zunächst seltsam: In einem Diary Slam lesen Männer und Frauen aus ihren Tagebüchern vor – auf einer Bühne und vor anwesendem Publikum. Wer macht denn so was? Und dass das Publikum dann wie in einem richtigen Slam üblich Punkte vergibt und einen Sieger kürt: Klingt seltsam? Alles halb so wild, wie mein Besuch bei dem 2. Karlsruher Diary Slam zeigte. Keep Reading