Inmitten unserer Orte stehen sie, die Kirchtürme. Als Symbol christlichen Glaubens mit all seinen Werten und Tugenden verkünden sie mehr als religiöse Tradition, sondern auch Verankerung inmitten unserer Gesellschaft. Die Kirche hat den Anspruch, Mittelpunkt und moralische Richtschnur zu sein, Orientierung zu geben, verloren und verdient ihn nicht mehr, da sie sich verhält wie eine Partition.

Die Kirche: Wie eine Festplatten-Partition?

Die Missbrauchsfälle der letzten Jahre erschüttern diesen Glauben und die Legitimation seiner Ansprüche. Denn es sind nicht lediglich die Ungeheuerlichkeiten, die an Missbauch und Misshandlung, Demütigung und Qual geschehen sind: Das System des Schweigens und Vertuschens ist es, das die Rechtmäßigkeit auf Gesellschaftsmitte infrage stellt. Die Kaltblütigkeit und Normalität, die offensichtliche Straftaten zu Verwaltungsakten des Verheimlichens machte. Die Menschen, die wussten und schwiegen – all das lässt die Kirche eher wie eine Partition auf einer Festplatte erscheinen: Während die Festplatte die Gesellschaft darstellt, die öffentliche Ordnung mit ihren Regeln und Gesetzen, Normen und Tabus, lebte es sich in einer bei näherer Betrachtung doch eher abgeschotteten Partition der Kirche prächtig. Denn dort galten die Regeln der Gesellschaft nicht im geforderten Maße. Fast schon erschütternd ist, dass sich erst jetzt die katholische Kirche ernsthaft mit ihrem eigenen Verhalten in Missbrauchsfällen auseinandersetzt und dabei immer noch so tut, als stehe sie über den bestehenden Gesellschaftsordnungen.

Der Weg in die Gesellschaft kann nur durch ihre Kontrolle erfolgen

Dieses Denken steht ihr nicht zu. Denn sie hat ihre Existenz als Partition nicht verdient. Ihre Programme gehören kompromisslos auf das reguläre Laufwerk. Man muss der Kirche, gleich welcher, die Macht nehmen, mit der sie zu einer Art Parallelgesellschaft werden konnte. Sie hat sich den Regeln zu fügen, nach der die Gesellschaft funktioniert. Sie muss sich nach ihrem eher laxen und hilflosen Versuch der Entschuldigung künftig rechtfertigen und aus sicher heraus ändern. Nur so kann sie den Anspruch erheben, in der Mitte der Gesellschaft zu sein.

Aus der sie sich mit ihrer Offenbarung, eher außerhalb der Gesellschaft zu stehen, ohnehin für die nächste Zeit verabschiedet hat.

Die Folgen von systematischer Misshandlung und systematischem Verschweigen

Was geschieht in der Institution Kirche? Was geschah? Wer versagte?

Misslich ist, dass durch die systematische Misshandlung und das systematische Verschweigen gewisser Kreise die Anständigen in der Kirche gleich mit in Misskredit geraten wie auch ihre Projekte. Fortan muss sich jeder, der sich in der Jugendarbeit engagiert, kritisch beäugen lassen, selbst wenn er es in der Tat nur gut meint.

Der Schaden, der der Kirche aus ihren eigenen Reihen zugefügt wurde, ist nicht nur einer der Institution Kirche, sondern gleich des Glaubens schlechthin. Der nämlich wird nun dem Kritikpunkt nahezu krimineller Energie auf der einen und unglaublicher Naivität auf der anderen Seite unterstellt.

Kriminell, weil die Misshandlungen stattfanden. Kriminell, weil jene, die an den Vertuschungen beteiligt waren, sich nicht nur moralisch, ethisch und christlich vergangen haben. Naiv, weil sie auf die Treue „ihrer Schäfchen“ bauen konnte, die niemals Derartiges in ihrer Kirche erwartet hatten, die Misstrauen für unangemessen, gar schändlich hielten.

Bequem machen in der Leugnung des Offensichtlichen

Doch auch Ignoranz kommt hinzu. Ignoranz vor dem nicht selten Offensichtlichen, dem man sich verschloss, um es sich weiterhin in seinem Glaubens- und Sozialkonstrukt gemütlich zu machen, um nicht den Halt zu verlieren. Der Verlust an Vertrauen ist schrecklich, der Verlust an Glauben katastrophal.

Dies haben die Schuldigen gewusst – dies haben die Schuldigen ausgenutzt.

Sie bauten auf Getreue, die jeden Ansatz von Zweifel und Kritik sofort von sich wiesen, die sofort abwehrend die Hände hoben. Sie nährten ein System der Rede- und Denkverbote, das Menschen mit Glauben sedierte.

Dafür gehören sie bestraft mit allen Gesetzesmitteln. Wenn sie nur dann in der Lage sind, Reue und Schuld zu erkennen, wenn man ihnen durch Verurteilungen menschlich ächtet, verdienen sie nichts anderes als gesetzliche Sanktionen und Einschränkungen, dass sich dergleichen niemals wiederholt.

Skandalöse Reaktionen der Kirche: Stimmen aus einer anderen Welt

Weit schlimmer sind zahllose Reaktionen auf die Missbrauchsfälle. Das breite, ehrliche Entsetzen wird immer wieder unterminiert von Attacken wüster Weltfremdheit, die in Schuldzuweisungen gipfeln. Hätte es die sexuelle Befreiung der 68er nicht gegeben, wäre all das nicht passiert. Wäre die Gesellschaft nicht so verlottert, wäre all das nicht passiert.

Hohn in doppelter Weise.

Denn nicht nur ist die Dreistigkeit, die Schuld einfach weiterzuleiten auf gesellschaftliche Zustände oder gar Gesellschaftsgruppen, ist unerhört.

Die Kirche ohne Rezepte

Die Kirche schießt sich argumentativ selbst in Knie, denn sie gibt damit zu, dass sie für die heutige Gesellschaft mit ihren Brüchen und Herausforderungen keine Rezepte hat. Dass sie hilflos ist. Dass sie den Anschluss verpasst hat.

Wie war das noch mit den Kirchtürmen als Symbol des gesellschaftlichen Mittelpunkts? Die Wüter machen deutlich, dass sie einer Institution angehören, die der Welt von heute nicht gewachsen ist und nur in der eigenen Partition überleben kann. In einem Subsystem, das selbst entscheidet, welchen Teilen der Gesellschaft gegenüber sie offen gegenübertreten will. Die selbst entscheidet, was „Störprogramme“ sind, um die eigene Ordnung aufrechtzuerhalten.

Und dennoch erhebt sie den Anspruch, Maßgeblich zu sagen zu haben ohne die Möglichkeit, angemessen zu urteilen?

Zukunftsblick

Welchen Weg die traurige Geschichte um Missbräuche in der Kirche nehmen wird, ist offen. Fakt ist, dass Systeme geduldet wurden, die sich moralische Werturteile anmaßen, die sie selbst in weiten Strecken nicht erfüllen.

Bei allen Hinweis auf all die guten Taten und die Tausenden rechtschaffenen Mitglieder, deren soziales Engagement den wirklichen religiösen Werten entspingen (aus denen sich die Grundwerte unserer westlichen Gesellschaft ableiten) kann der Appell, dass sich Derartiges nie wiederholen darf, nicht kleingeredet werden.

Die Fälle systematischen Missbrauchs und Misshandelns, Erniedrigens und Schweigens, Erpressens und Verhöhnens haben deutlich gezeigt, dass es an der Zeit ist, die Kirchtürme, die innmitten unserer Orte stehen, mit noch etwas anderem zu füllen: Wachsamkeit, Aufmerksamkeit – und knallharter politischer wie rechtsstaatlicher Kontrolle.

Ein Glaubenssystem, gar wegen seiner unbestreitbaren Vorteile und Segnungen, darf nicht abgegrenzt von dem Sozial- und Gesellschaftsgefüge agieren, in dessen Mitte es ganz selbstverständlich operiert.

Die Kirche – gleich welche Religion – hat endgültig ihre Unantastbarkeit verloren.

Sie muss anerkennen und dulden, dass sie sich zu fügen hat. Nur so kann sie auch Vertrauen zurückg gewinnen, Trost spenden, Glauben vertreten.

Die Kirche muss sich ändern und öffnen. Schuldzuweisungen reichen nicht, Scham und Schuld reichen nicht.

Die Partition muss aufgegeben werden, damit die Programme darauf Teil des großen Ganzen werden. So wie übrigens auch hingehören.