Als ich neulich in die Wolken blickte, geschah es: Ich hielt sie an. Nicht alle, sondern eine. Ich brachte sie dazu, einfach stehenzubleiben. Wie weit sie von mir entfernt war, kann ich nicht sagen, es war ein großartiger Sommertag, und weiße Wolken schoben sich wie Gebirge über mich hinweg. Auf eine fixierte ich mich – oder ich hatte vielmehr das Gefühl, dass sie sich mich aussuchte, um von mir fixiert zu werden, soll heißen, im Prinzip fixierte sie mich – und brachte sie, während ich sie anblickte, zum Stillstand, während alles andere und auch alle Wolken um sie her weiterzogen. Ich konnte sowohl die Bewegungen der anderen Wolken anhand eines Daches erkennen, wie sie sich millimeterweise weiterschoben, wodurch mir auch klar wurde, dass die eine bestimmte Wolke indes stehenblieb.

Wie konnte das sein?

Ich denke, wir haben uns beide angeschaut und uns zu durchdringen versucht. Während ich sie ansah, stellte ich mir vor, dort hineinzufliegen. Ich spürte, wie es dort weit kühler war als die 30 Grad, in denen ich mich befand. Ich stellte mir vor, in ihrem Nebel zu sein und nichts anderes mehr zu sehen als ihr nebelweißes Innengewölk.

Still war es dort, beeindruckend still, und alles, was von unten heraufgequollen wäre, wurde wie in Watte gepackt und drang nicht zu mir. Es ist übrigens nicht allzu schwer, sich im Tagträumen in das Innere einer dieser großen, weißen Wolken hineinzudenken. Man muss es nur wollen. Das ist kein Akt an sich, sondern ein Erleben, das sich ergibt, ein Finden, ohne gesucht zu haben.

Nein, ich beginne nicht damit, zu sagen, wir hätten eine gemeinsame Basis oder hätten gar miteinander kommuniziert. Wir waren, so kam es mir zumindest vor, eins, jeder in dem anderen. Schließlich atmete ich sie ein, während ich mich in ihr befand.

Hier, weit oben, war die Welt so anders. Still vor allem. Und entrückt. Entrückt, weil hier alles gleichgültig war und nichts wichtig. Hier wabert man vor sich hin, mehr nicht, ist reines Sein, ohne Funktion, ohne Wille. Schön ist das.

Es muss durch diese Einheit geschehen sein, dass die Wolke anhielt. So als wollte sie nicht aus meinem Blickfeld und mich nicht weiter belasten. Wie ein Bett, das da steht und dich einlädt: Komm. Leg dich hin.

Minuten verstrichen. Ich weiß das, denn ich bemerkte später beim Blick auf die Uhr einige Minuten, die verstrichen waren, ohne dass sie mir wie Minuten vorgekommen waren.

Zu sagen, dass ich irgendwann einmal wieder zu mir kam, ist zu viel gesagt, ich war schließlich nicht weg oder weggetreten, sondern vielmehr ganz und gar da gewesen. Immerhin erkannte ich nun, dass die Wolke nicht stillgestanden hatte. Dass ich sie also auch nicht zum Stillstand gebracht habe. Man darf auch fragen, wie ich das geschafft hätte. Denn erst jetzt bemerkte ich, dass die Wolke, die mir eine Zeitlang so vertraut gewesen ist, eine weitaus massivere war als alle um sie herum – will sagen: vor ihr. Denn ich war einer optischen Illusion erlegen: Alle anderen Wolken waren viele Kilometer vor ihr, und wirkten dadurch schneller. Wie der Harz sausten sie vor den Anden oder dem Himalaja vorbei, und solche Wolkenmassen schieben sich nicht so hastig, vor allem nicht aus dieser großen Entfernung.

Aber schön war der Gedanke dennoch: Dass ich es vermocht hatte, eine Verbindung zu einer Wolke aufzunehmen oder es erlebt zu haben, wie eine Wolke mich dafür ausersehen hatte und der Möglichkeit bewusst zu werden, Dinge in der Welt zum Anhalten bringen u können.

Müsste doch, so denke ich mir, möglich sein, alles andere macht keinen Sinn. Immerhin ein Gedanke, der nun da ist und mit dem ich ab nun immer wieder beschäftigen kann. Ein Gewinn, möchte ich sagen.